Karate ist Selbstverteidigung ohne Waffen. Die Ursprünge liegen auf Okinawa, der Hauptinsel der Ryukyu Inselgruppe. Sie liegen ca. 500 km südlich der japanischen Hauptinseln und etwa 800 km vom chinesischen Festland entfernt.
Unter König Sho Hashi entstand 1420 ein vereintes und eigenständiges Königreich der Ryukyu Inseln. Dies als Vereinigung dreier oftmals zerstrittener Königreiche. Zur Erhaltung des Friedens erliess der König ein Waffenverbot. Nach der Eroberung der Ryukyu Inseln durch den japanischen Shimazu Klan im Jahr 1609 (Satsuma Dynastie) wurde das Waffenverbot weiter verschärft.
Um sich gegen Piraten oder die Willkür der Machthaber verteidigen zu können, entwickelten die Inselbewohner waffenlose, sehr effektive Kampftechniken („Okinawa-Te“, Te = Hand). Die Ryukyu Inseln standen in regem kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit China. Dadurch beeinflussten die chinesische Faustkampf-(Kempo) und Schwert-Techniken die Entwicklung des Okinawa-te wesentlich (oder Ryukyu Kempo die Urform des Karate). Eine wesentliche Rolle spielte Bubishi, ein lange geheim gehaltenes, äusserst umfassendes chinesisches Manual zu Kriegs- und Kampfkünsten. Es gelangte, gemäss verschiedener Theorien, auch zu den ersten Meistern des Karate nach Okinawa und dürfte ihnen als Basis für die Entwicklung ihrer Kampfkünste gedient haben. Es ist in Japan erst 1934 unter dem Namen Bubishi veröffentlicht worden und wird oft als die „Bibel des Karate“ gesehen.
Die Wirksamkeit dieser Verteidigungstechniken in Kämpfen auf Leben und Tod wurde von der Obrigkeit erkannt. In der Folge verbot sie zeitweise das Üben von Karatetechniken gänzlich. Es war nur noch möglich, in kleinen Gruppen im Geheimen zu trainieren. Die Techniken gaben Lehrer den Schülern in der Form von Kata weiter.
Auf das Ende der Satsuma Dynastie im Jahr 1872 erfolgte der offizielle Anschluss der Ryukyu Inseln an Japan. Im Zuge der Liberalisierung der japanischen Gesellschaft durch die Meiji Regierung ab 1868 konnte das Karate auf Okinawa wieder praktiziert werden. Der Begriff Karate wurde in den Jahren 1911/1912 eingeführt. Das Okinawa Boxen bzw. das Okinawa-Te wurde sogar zum Pflichtfach an den Mittelschulen.
Das Karate von Okinawa
Bedingt durch Repressionen, die das Üben von Karate nur im Geheimen ermöglichte, entwickelten sich auf Okinawa eine ganze Reihe von verschiedenen Stilen. Diese wurden den besonderen lokalen Begebenheiten angepasst und optimiert. Die drei bedeutendsten waren das Shuri-Te, Naha-Te und Tomari-Te, benannt nach den Orten ihrer Entstehung. Für das Shuri-Te ist der Kampf auf Distanz (gegen Schwertkämpfer) charakteristisch. Die Naha-Te Techniken sind auf den Nahkampf in engen Verhältnissen ausgerichtet. Tomari-Te liegt sowohl geographisch als auch karate-technisch dazwischen.
Video zur Geschichte des Karate auf Okinawa (Okinawa hat Karate als sog. Immaterielles Kulturgut bei der UNESCO angemeldet)
Itosu Anko 1832 – 1916
Von Itosu wird berichtet, dass er jeden Tag mehrere hundert Mal gegen mit Stroh gepolsterte Holzpflöcke einschlug. Damit härtete er seine Fäuste ab. Ein dickes Bambusrohr konnte er ohne Mühe mit einer Hand zerquetschen. Itosu unterichtete an seiner Schule nur einen ausgewählten Kreis von Schülern. Daraus stammen einige der bekannten Karate-Meister, die zur Bildung des modernen Karate beigetragen haben. Dis waren insbesondere Funakoshi Gichin und Mabuni Kenwa.
Higaonna Kanryo 1853 – 1916
Higaonna Kanryo hat bei Meister Aragaki Karate gelernt. Higaonna stammte aus einer Familie von Feuerholzhändlern. Er muss sich durch besonderes Talent zum Kämpfen ausgezeichnet haben. Dadurch durfte er trotz seiner einfachen Herkunft bei Meister Aragaki Kempo lernen. Er begab sich danach für 15 Jahre nach Fukien in China und studierte das dortige Kempo. Nach seiner Rückkehr nach Okinawa entwickelte er den Naha-Te Stil. Dieser ist auf den Nahkampf in engen räumlichen Verhältnissen ausgerichtet.
Funakoshi Gichin 1868 – 1957
Funakoshi hat im Jugendalter beim Vater seines Schulfreundes, Azato Anko, mit dem Karatetraining begonnen. Azato Anko war einer der grössten Experten des frühen Karate. Er wusste über die verschiedenen Stile bestens Bescheid und war mit Itosu Anko befreundet. Funakoshi trainierte bei beiden Lehrern. Er begann, mit seinen Schülern und anderen Meistern (Mabuni Kenwa) durch öffentliche Vorführungen das Karate bekannt zu machen. Das Erziehungsministerium und selbst der Kronprinz von Japan baten ihn und Mabuni Kenwa, auch auf den japanischen Hauptinseln Vorführungen zu geben. Später übersiedelte Funakoshi nach Tokyo, um das Karate weiter zu verbreiten und an Schulen und Hochschulen zu lehren. Funakoshi gilt heute als der Vater des modernen Karate und Begründer des Shotokan Karate Stils.
Mabuni Kenwa 1889-1952
Im Alter von 13 Jahren durfte Mabuni Kenwa in der Schule von Itosu das Shuri-Te lernen. Mit 19 Jahren erhielt er von Itosu Anko die Erlaubnis, auch bei Meister Higaonna Kanryo den Naha-Te Stil zu trainieren. Dabei wurde er von seinem Freund Miyagi Chojun, dem späteren Begründer des Goju Ryu Stils, eingeführt. Ausserdem studierte Mabuni Kenwa das Tomari-Te und weitere Techniken des alten Ryukyu Budo (Kampfkünste). Als Polizist traf er auf seinen Reisen immer wieder lokale Experten. Von ihnen lernte er Katas und Techniken. Ab 1924 amtete Mabuni Kenwa ausschliesslich als Karate Lehrer an verschiedenen Schulen (Fischereischule von Okinawa, Lehrerseminar, Polizeischule). Er eröffnete ein Jahr später sein erstes Dojo. Im Jahre 1929 übersiedelte er auf die japanische Hauptinsel nach Osaka. Zu Ehren seiner zwei Lehrer Itosu und Higaonna verwendete Mabuni die Anfangszeichen ihrer Namen für die Benennung seines Shito-Ryu Stils. Er wurde allseits als der wichtigste Experte von Kata anerkannt.
Karate in Japan
Nachdem Meister Funakoshi Gichin nach Tokyo, und etwas später Meister Mabuni Kenwa nach Osaka übersiedelten, wurde Karate in ganz Japan verbreitet. Ihre Stile Shotokan und Shito-Ryu wurden durch ihre Söhne (u. a. Funaskoschi Yoshitaka, Mabuni Kenei) und Nachfolger weltweit verbreitet. Mabuni und Funakoshi unterrichteten an Schulen und Universitäten. Die Beziehungen untereinander waren respektvoll und durch den Austausch von Schülern befruchtend (z. B. zum Studium von Katas sendete Funakoshi seinen Sohn zu Mabuni).
Normierungen und Gradierungen mittels Kyu-System (Gradierung der Schüler mit farbigen Gürteln) und Dan- System (schwarzer Gurt für alle Meistergradierungen) wurden im Karate erst in den dreissiger Jahren in Japan etabliert. Die entsprechenden Systeme im Judo waren Vorbild. Diese Entwicklung muss nicht zuletzt auch in politischem Zusammenhang und im Zuge der allgemeinen Militarisierung in dieser Zeit gesehen werden.
Auf den japanischen Hauptinseln etablierten sich vier große Karatestile, die durch ihre Meister entwickelt und verbreitet wurden: das Shotokan Ryu Karate durch Funakoshi Gichin, das Goju Ryu Karate durch Miyagi Chojun, das Wado Ryu Karate durch Otsuka Hironori (u. a. Schüler von Funakoschi und Mabuni – er verband das Okinawa Karate mit Techniken des Ju-Jitsu) und das Shito Ryu Karate auf der Basis von Shuri-Te und Naha-Te Techniken durch Mabuni Kenwa. Ausgehend von ihren Begründern wurden den verschiedenen Karate Stilen neben den reinen Kampftechniken mehr und mehr auch spirituelle, charakterfördernde und gesundheitliche Aspekte zugesprochen. Sie haben sich zu eigentlichen Kampfkünsten entwickelt.
Die vier Hauptstile wurden 1965 unter der Organisation FAUKO (Federation of All Japan Karate Do Organisations) organisiert, ohne ihre speziellen Charakteristika zu verlieren. Karate ist unterdessen weltweit verbreitet. Es hat neben seinen Traditionen auch zum „Sportkarate“ gefunden. Zum Beispiel versteht es der heutige Leiter des Shito Ryu Karate, Mabuni Kenyu (Enkel von Mabuni Kenwa), sowohl das traditionelle Karate zu studieren und zu vermitteln, als auch im Karatesport beratend tätig zu sein. Dies bei vielen Spitzenkarate Wettkämpfern aus der ganzen Welt, darunter die japanische Kata Weltmeisterin Kiyou Shimizu.